Ein kritischer Blick auf einen fast vergessenen Sohn Bockenheims, der die Reformation mitprägte und für seine radikalen Ansichten verfolgt wurde. Von Timo Benß
Wenn man durch Bockenheim spaziert, deutet heute lediglich ein Straßenname darauf hin, dass hier einst ein Mann geboren wurde, der die religiöse Landschaft des 16. Jahrhunderts in Aufruhr versetzen sollte. Jakob Kautz, um 1500 in Großbockenheim zur Welt gekommen, entwickelte sich zu einem bedeutenden, wenn auch umstrittenen Reformator.
Kautz‘ Weg begann wie der vieler Reformatoren seiner Zeit: 1524 schrieb er sich an der Universität Wittenberg ein, dem Zentrum der lutherischen Reformation, wo Martin Luther lehrte und seine neuen Ideen verbreitete. Viele junge Männer kamen dorthin, um diese neuen Lehren kennenzulernen. Doch schon bald zeigte sich, dass der junge Bockenheimer eigene Vorstellungen davon hatte, wie eine erneuerte Kirche aussehen sollte.
Noch im selben Jahr trat Kautz in Worms als Prediger auf. Dort kam er in Kontakt mit radikaleren Strömungen der Reformation, insbesondere den Täufern, einer Gruppe von Christen, die die Kindertaufe ablehnten und stattdessen die Taufe von Erwachsenen praktizierten. Sie forderten auch eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Diese Begegnung prägte sein weiteres Wirken nachhaltig. Zusammen mit Gleichgesinnten wie Hans Denck und Ludwig Hätzer begann Kautz, seine Ideen zu verbreiten – nicht nur von der Kanzel, sondern auch durch Schriften.
Die Sieben Artikel des Jakob Kautz
Der Höhepunkt seines Wirkens in Worms waren die berühmten „Sieben Artikel“, die Kautz 1527 öffentlich anschlug. Darin vertrat er Positionen, die selbst vielen Reformatoren zu weit gingen: Er stellte die Bibel als alleinige Quelle der Gotteserkenntnis in Frage und zweifelte an der Kraft der Sakramente. Die Kindertaufe lehnte er ab und bestritt Christi leibliche Gegenwart im Abendmahl. Zudem vertrat er eine mystische Sicht auf die Auferstehung, sah Christi Leiden nur für seine Nachfolger als wirksam an und betonte Jesu inneren Gehorsam statt seines äußeren Leidens.
Diese Thesen lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Nicht nur die katholische Kirche, sondern auch lutherische und reformierte Theologen wie Martin Bucer und Ulrich Zwingli verfassten Gegenschriften. Die Folge: Kautz wurde aus Worms verbannt.
In den folgenden Jahren führte Kautz das unstete Leben eines Wanderpredigers. 1528 landete er in Straßburg, wo er erneut mit den Autoritäten in Konflikt geriet. Zusammen mit anderen Täufern wurde er wegen aufrührerischer Predigten verhaftet. Im Gefängnis traf er auf den Spiritualisten Kaspar Schwenckfeld, der in ihm einen „lieben Bruder in Christo“ sah.
Trotz dieser Unterstützung wurde Kautz 1529 aus Straßburg ausgewiesen. Er versuchte sich als Hauslehrer in der Umgebung, doch seine Bitte, in die Stadt zurückkehren zu dürfen, wurde abgelehnt. Schließlich zog er nach Mähren, wo er in Iglau als Lehrer arbeitete.
Die letzte Spur
1536 verfasste Kautz ein letztes Bekenntnis, in dem er seine täuferisch-spiritualistischen Positionen zusammenfasste. Darin verwarf er auch das Dogma der Trinität – eine Ansicht, die ihn endgültig ins theologische Abseits drängte. Die Trinität ist die christliche Lehre, dass Gott in drei Personen existiert: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Kautz‘ Ablehnung dieser Lehre war für die meisten Christen seiner Zeit inakzeptabel. Danach verliert sich seine Spur in den Wirren der Geschichte.
Kautz‘ Schicksal zeigt exemplarisch die Spannungen und Konflikte der Reformationszeit. Während Luther und andere Mainstream-Reformatoren von Fürsten geschützt wurden, sahen sich radikalere Denker wie Kautz oft Verfolgung ausgesetzt – nicht nur von katholischer Seite, sondern auch von ihren protestantischen Glaubensbrüdern.
Aus heutiger Sicht erscheinen viele von Kautz‘ Ideen befremdlich. Seine Ablehnung der Dreifaltigkeit etwa steht im Widerspruch zu zentralen Glaubenssätzen unserer Kirche. Auch seine Zweifel an der Wirksamkeit der Sakramente oder der Taufe von Kindern würden heute auf wenig Zustimmung stoßen.
Für unsere Kirchengemeinde ist Jakob Kautz ein Teil der Geschichte, auf den wir deshalb mit gemischten Gefühlen blicken. Einerseits ist es bemerkenswert, dass ein Sohn Bockenheims eine Rolle in den großen geistigen Auseinandersetzungen seiner Zeit spielte. Andererseits mahnt uns sein Schicksal, wie wichtig es ist, radikale Ideen zu hinterfragen und im Dialog zu bleiben.